Auge in Auge mit der Forscherelite

15. Juni 2015, Nr. 046

Nachwuchswissenschaftler der Universität Stuttgart bei Nobelpreisträgertagung in Lindau

70 Nobelpreisträger und 672 Nachwuchswissenschaftler aus 88 Ländern werden zur 65. Lindauer Nobelpreisträgertagung vom 28. Juni bis 3. Juli 2105 erwartet. Mit dabei sind die Chemikerin Theresia Richter und der Physiker Tobias Steinle von der Universität Stuttgart. Sie hatten sich erfolgreich in einem mehrstufigen internationalen Auswahlverfahren beworben. Teilnahmeberechtigt waren in diesem Jahr ausgezeichnete Studierende, Doktorandinnen und Doktoranden sowie Post-Docs unter 35 Jahren, die in Bereichen der Medizin, Physik oder Chemie forschen.

„Die Lindauer Nobelpreisträgertagung ist ein einzigartiges Forum mit Teilnehmern verschiedenster wissenschaftlicher und regionaler Hintergründe“, sagt Theresia Richter, die am Institut für Anorganische Chemie der Universität Stuttgart bei Prof. Rainer Niewa promoviert. Besonders freut sich die 27-Jährige auf ein "Science Breakfast" mit Stefan Hell (Deutschland) und Eric Betzig (USA), die gemeinsam mit William E. Moerner den Chemie-Nobelpreis 2014 erhalten hatten. Auch Veranstaltungen mit Albert Fert (Physiknobelpreis 2007, Speicherdichte in Festplatten), Dan Shechtman (Chemienobelpreis 2011, Quasi-Kristalle) und dem Stuttgarter Klaus von Klitzing (Physiknobelpreis 1985, Quanten-Hall-Effekt für die physikalischen Eigenschaften von Halbleitern) gehören zu den Highlights ihres Tagungsprogramms. Als Literaturbegeisterte freut sie sich zudem auf einen Vortrag des Literatur-Nobelpreisträgers Wole Soyinka.

Theresia Richter wurde 1988 in Nürtingen geboren und studierte Chemie und Französisch an der Universität Stuttgart. In ihrer Doktorarbeit beschäftigt sie sich im Rahmen einer interdisziplinären Forschergruppe der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) mit der Synthese und dem Bildungsmechanismus von Metallnitriden aus überkritischem Ammoniak. Metallnitride werden zum Beispiel als Halbleitermaterialien in Leuchtdioden (LEDs) eingesetzt. Das aktuell bekannteste Beispiel ist die 2014 mit dem Physik-Nobelpreis gewürdigte Galliumnitrid-LED. „Für meine Reaktionen verwende ich eine Art Schnellkochtopf, in dem ich bei sehr hohen Drücken (3000 bar) und sehr hohen Temperaturen (600 °C) arbeite. Statt Wasser verwende ich das chemisch sehr ähnliche Ammoniak und erhalte keine gekochten Kartoffeln, sondern Amid-, Ammoniakat- oder Nitrid-Kristalle “, beschreibt Theresia Richter, die in ihrer Freizeit ehrenamtlich Chemieexperimente mit Kindern macht und Hausaufgaben betreut, ihre Arbeit.

Wissenschaftlich wird diese Methode Ammonothermalsynthese genannt und ist ein innovativer Weg zur Zucht von Kristallen hoch reiner Funktionsmaterialien über einen chemischen Transport. Durch gleichzeitig hohen Druck und hohe Temperatur können Kristalle von Verbindungen gezüchtet werden, die bisher nicht oder nur sehr schwer zugänglich waren. „So bekommen wir nicht nur neue Materialien mit einer potentiellen Anwendung im Halbleitersektor, sondern tragen auch mit dem chemischen Wissen über Bildungsmechanismen dazu bei, die Kristallzucht, unter anderem in der Industrie, zu verstehen und zu verbessern“, erklärt Richter, die bereits ihre Abschlussarbeit über die Ammonothermalsynthese von Zinknitrid geschrieben und dafür ein Stipendium des Fonds der Chemischen Industrie bekommen hat.

 
Theresia Richter (Foto: Privat)

Tobias Steinle, geboren 1989 in Bad Saulgau, studierte Physik an der Universität Stuttgart und promoviert am 4. Physikalischen Institut bei Prof. Harald Giessen. In seiner Forschung beschäftigt er sich mit der Erzeugung von ultrakurzen Laserpulsen im Infrarot und deren Anwendungen, insbesondere in der Mikroskopie für berührungslose chemische Analyse. „Das Nobelpreisträgertreffen gibt mir die Gelegenheit, den wissenschaftlichen Horizont auszudehnen, um neue Fragestellungen zu erkennen, visionäre und unkonventionelle Ideen zu diskutieren und Kontakte auf interdisziplinärer Ebene zu knüpfen. Besonders viel verspreche ich mir von der Master Class ‘ What are the Big Questions in Cancer Research and Which Scientific Disciplines are Needed to Answer them?’, gechairt von Harold E. Varmus und J. Michael Bishop (Nobelpreis Medizin, 1989) sowie Steven Chu (Physik, 1997)“, sagt der Stipendiat der Carl Zeiss Stiftung, der 2014 mit dem „Best student presentation award“ der Optical Society of America ausgezeichnet wurde.

Ultrakurze Laserpulse sind ein vielseitiges Hilfsmittel in vielen Feldern der Wissenschaft. Könnte man die Zeit anhalten, dann wäre ein solcher Puls gerade einmal wenige Mikrometer lang. Die Energie des Lichts wird für ein extrem kurzes Zeitfenster so stark gebündelt, dass für diesen Moment Leistungen erreicht werden, wie sie sonst in Kraftwerken vorkommen. Kombiniert man zwei oder mehrere dieser Pulse genau zeitgleich in einem beliebigen Material, dann können die Pulse über spezielle, „nichtlinear“ genannte Prozesse Energie austauschen. „Ohne den Trick mit der Bündelung der Leistung wären die Effekte viel zu klein, um gemessen werden zu können, aber ultrakurze Pulse machen es möglich. Zum einen lassen sich so Lichtpulse verschiedener Wellenlänge fast nach Belieben ineinander umwandeln, zum anderen erfährt man eine Menge über das Material, durch das sich die Pulse bewegt haben“, erklärt Steinle.

Das lässt sich zum Beispiel in einem Mikroskop nutzen, das nicht nur Umrisse und Strukturen abbildet, sondern gleichzeitig noch deren chemische Zusammensetzung analysiert. Dies ist nicht nur für die Materialforschung von Bedeutung, sondern vor allem auch für medizinische Bildgebung und Analyse. Zu den größten Herausforderungen des Projektes gehört es, durch neue physikalische Ansätze die Komplexität der Laserquellen zu reduzieren, ohne die Leistungsfähigkeit einzuschränken. Damit soll die laserbasierte Mikroskopietechnik einem breiten Feld von Anwendern zugänglich gemacht werden.

Weitere Informationen und Interviewanfragen:
Andrea Mayer-Grenu, Universität Stuttgart, Abt. Hochschulkommunikation, Tel. 0711/685-82176,
E-Mail: andrea.mayer-grenu (at) hkom.uni-stuttgart.de

Tobia Steinle (Foto: Privat)
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