Stuttgart war 1927 wegweisend, als die Stadt im Rahmen einer Internationalen Bauausstellung die Weißenhofsiedlung schuf, um eine zeitgemäße Antwort auf die Wohnungsfrage im Industriezeitalter zu geben. Die damals aufgeworfene Frage „Wie wohnen?“ beschäftigt heute weiterhin Architekten und Stadtplaner weltweit - so auch den Bengalen Md. Ashiq Ur Rahman von der Khulna Universität in Bangladesch.
Der Georg-Forster Stipendiat der Humboldt-Stiftung ist selbst Stadtforscher und seit April für zwei Jahre Gastprofessor am Städtebau-Institut der Universität Stuttgart. Dort arbeitet er am Lehrstuhl Internationaler Städtebau von Professor Astrid Ley in engem Austausch mit der Wissenschaftlerin an seinem Projekt „Wohnungsversorgung für in Armut lebende Stadtbewohner im Kontext neoliberaler Regierungsführung in Bangladesch“.
Er nennt sich ein „hart arbeitendes Glückskind“, weil er mehrere Stipendien erhalten hat, um seine Studien mit dem Schwerpunkt „Armutsorientierte Wohnungsversorgung und Governance“ gezielt verfolgen zu können.
Zügiges Studium mit Stipendien
Nach Abschluss seines Bachelor-Studiums an der Khulna Universität in Bangladesch erhielt er ein Stipendium für das Masterstudium an der renommierten Development Planning Unit (dpu) des University College in London. „Das DPU ist ideal, wenn man ein professioneller Stadtplaner werden will, der sich mit Aspekten der sozialen Gerechtigkeit und städtebaulichen Entwicklung beschäftigt“, erläutert Rahman. Von dort ging es nahtlos über an die Heriot-Watt University in Edinburgh, wo er 2012 seine Promotion zum Thema „Unterbringung der städtischen Armen in Bangladesch – eine Studie über Wohnverhältnisse, Politik und Organisationen“ abschloss.
Danach kehrte er an seine Universität in Khulna, Bangladesch, zurück. „Ich lehrte und nahm an mehreren Forschungsprojekten teil. Vornehmlich ging es um Fragen des Wohnungswesens und der Governance.“ Für seine Forschungs- und Publikationstätigkeit wurde er mehrfach ausgezeichnet – so im Jahr 2016 von Transparency International Bangladesh mit einem Research Fellowship for Young Professionals.
Netzwerken als Grundvoraussetzung für Wissenschaft und Wohnraumversorgung
Das Humboldt-Stipendium erlaubt Rahman, sich wieder verstärkt seinem wissenschaftlichen Hauptthema soziale Wohnverhältnisse und Wohnraum in Städten für in Armut lebende Bevölkerungsschichten zu widmen. Im Vorfeld war er über erfolgreiches Netzwerken auf Astrid Ley aufmerksam geworden. Leys Forschung konzentriert sich auf die dynamischen Prozesse der Urbanisierung und auf Konstellationen, in denen der Staat sich mit der Wohnsituation überfordert sieht. Zusammen mit zwei Kollegen hatte sie zur Bedeutung des Globalen Netzwerkens für die Wohnraumentwicklung der Armen in Städten im Rahmen eines DFG Projektes geforscht (Buchtitel: ‚From Local Action to Global Networks: Housing the Urban Poor‘).
Sie unterstützte Rahmans Bewerbung um das Georg-Forster Stipendium, das sich innerhalb der Humboldt-Stiftung speziell an Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Entwicklungsländern richtet. Gemeinsam arbeiten die beiden Professoren von Stuttgart aus für zwei Jahre am Forschungsfeld ‚Armutsorientierte Stadtentwicklung und Wohnungsversorgung‘.
Unterstützung der UN Agenda 2030 zur nachhaltigen Wohnpolitik
Die Forschungsaktivitäten seines Gastlehrstuhls in punkto Nachhaltigkeit und für die globalen Entwicklungsziele der Vereinten Nationen waren für Rahman entscheidend, sich für die hiesige Universität zu entscheiden. In Ländern wie Bangladesch geht es um die Auseinandersetzung mit stark dynamischen Verstädterungsprozessen. „Zu der Diskussion, wie man die UN- Ziele im Bereich Wohnungsbau umsetzen kann, möchten wir mit unseren Forschungen beitragen.“, sagt der 33jährige Wissenschaftler und betont: „Der Rahmen steht. Jetzt geht es darum, wie Bangladesch mit diesen Zielen umgeht. Viele lokale Akteure haben schlichtweg keine Ahnung, was sie mit diesen Vorgaben anfangen sollen.“
Wohnen ist mehr als nur Wohnungsbau
„Das Umsetzen der Ziele findet aber nicht auf einem weißen Blatt statt“, warnt Rahman. Dieser irrigen Meinung seien manche Stadtplaner. Völlig falsch sei es auch, anzunehmen, dass für ein Land wie Bangladesch mit seinen gewaltigen Wohnproblemen die Lösung darin liege, einfach Häuser zu bauen. „Es geht nicht um Massenproduktion. Die Armut nimmt zu oder ab, je nachdem wie der Wohnungsbau realisiert wird.“ Oftmals werde zum Beispiel nach billigem Land an der Peripherie der Großstädte gesucht, den Menschen damit aber der Zugang zum Arbeitsmarkt verwehrt. Wenn man dagegen genau untersuche, wie die Betroffenen sich selbst organisieren, komme man ihren Bedürfnissen viel eher auf die Spur. „Der Begriff Wohnraum hat deshalb eine viel breitere Bedeutung als nur das Bauen einer Unterkunft.“
Solche Fragestellungen gelte es im ständigen Austausch mit anderen Wissenschaftlern und Organisationen zu diskutieren, um das Bewusstsein zu schärfen und öffentliche Aufmerksamkeit dafür zu wecken, wie sich die Leitlinien der UN lokal umsetzen lassen.
Stuttgart-Bangladesch Wissenschaftsachse weiterführen
Als Experte für Wohnungsfragen für unterprivilegierte Bevölkerungsschichten hat Rahman in seiner gastgebenden Professorin die ideale Sparringspartnerin gefunden. Die beiden sind sich einig: Wenn er wieder zurück ist in Bangladesch, geht die Zusammenarbeit zwischen den beiden Universitäten weiter.
Astrid Ley
Prof.Lehrstuhlinhaberin Internationaler Städtebau am Städtebau-Institut