4,8 Millionen Euro für Pionierforschung bei Quantencomputern

21. Januar 2011, Nr. 05

Gleich zwei ERC-Grants für erfahrene exzellente Forschende an Stuttgarter Physiker

Der ERC-„Advanced Investigator Grant“  für erfahrene exzellente Forschende zählt zu den renommiertesten Forschungspreisen weltweit. Gleich zwei dieser durch den des Europäischen Forschungsrat ausgelobten und mit jeweils 2,4 Millionen Euro dotierten Grants zur Förderung der Pionierforschung gingen nun an Physiker der Universität Stuttgart: Prof. Tilman Pfau, Leiter des 5. Physikalischen Instituts, wird für seine Arbeiten zur Steuerung von Wechselwirkungen mit langer Reichweite in Quantengasen ausgezeichnet. Prof. Jörg Wrachtrup, Leiter des 3. Physikalischen Instituts der Universität Stuttgart, erhält die Auszeichnung für die Nutzung von atomaren Defekten in Diamanten für die Quantentechnologie. Beide Ansätze gelten als außerordentlich vielversprechend für die Entwicklung von Quantencomputern mit sehr hoher Rechenkapazität und äußerst sicherem Datentransfer sowie anderen Anwendungen in der Datenübertragung.

 

Wissenschaftsminister Professor Dr. Peter Frankenberg gratulierte. „Die Entscheidung des Europäischen Forschungsrats ist eine hohe Auszeichnung und ein großer Erfolg für die Wissenschaftler, aber auch für die Universität Stuttgart. Sie zeigt zugleich, wie gut Baden-Württemberg in der Grundlagenforschung insgesamt aufgestellt ist. Der ERC fördert in dieser Runde sechs Wissenschaftler aus dem Land“, so der Minister.

„Die Quantenphysik an der Universität Stuttgart hat sich in den letzten Jahren zu einem Forschungsschwerpunkt mit außerordentlich hohem Niveau entwickelt“, so Uni-Rektor Prof. Wolfram Ressel. „Dass diese Expertise durch den Europäischen Forschungsrat nun mit gleich zwei Advanced Grants gewürdigt wird, freut uns ganz besonders. Auch mit Blick auf die Exzellenzinitiative sind die Auszeichnungen eine hervorragende Visitenkarte, die nachweist, dass die Universität Stuttgart – auch im Verbund mit ihren Forschungspartnern – auf dem Gebiet der Quantenphysik sehr gut aufgestellt ist.“

ERC Advanced Investigator Grant LIQAD „Long-range interacting quantum systems and devices” (Quantensysteme mit langreichweitigen Wechselwirkungen, Prof. Tilman Pfau)

Die prinzipiell kleinste Informationseinheit ist ein Bit und nimmt klassisch den Wert 1 oder 0 ein. Diese Werte können aber auch für wahr oder falsch, rechts oder links, oben oder unten stehen. Das Informationszeitalter basiert auf dem Austausch und der effizienten Verarbeitung solcher digitalen Informationseinheiten. Die grundlegende Kapazitätsgrenze für die Datenverarbeitung ist erreicht, wenn als Informationsträger die kleinste Einheit in der Natur, also ein einzelnes Quantum wie zum Beispiel ein einzelnes Lichtteilchen  benutzt wird. Solche Quanteninformationsträger folgen den Gesetzen der Quantenmechanik, die auch Überlagerungszustände aus 0 und 1 erlauben. Neuartige Quantenbauelemente sollen diese Quanteninformationsträger senden, empfangen, speichern und verarbeiten. Dadurch ergeben sich neue Möglichkeiten für die sichere Datenübertragung sowie für die Quanteninformationsverarbeitung durch logische Operationen.

Auf dem Weg dahin verfolgen Prof. Tilman Pfau und sein Team am 5. Physikalischen Institut der Universität Stuttgart einen Ansatz, der auf atomaren Gasen basiert. Zur Datenverarbeitung ist es erforderlich, dass sich einzelne Lichtteilchen gegenseitig beeinflussen, indem sie ihren Zustand ändern. Hierin besteht die besondere Herausforderung, denn Lichtstrahlen durchdringen sich normalerweise ohne Wechselwirkung. Der Ansatz der Gruppe Pfau basiert auf der Verwandlung von Lichtteilchen in  Anregungen in atomaren Gasen durch effiziente Absorption. Die hoch angeregten Zustände können einander stark beeinflussen, bevor sie die Anregung wieder in Licht verwandeln. Die Kunst dabei ist es, diesen Prozess in möglichst reiner Form ablaufen zu lassen .
Für grundlegende Untersuchungen verwenden die Physiker ultrakalte Atomwolken sowie für Raumtemperaturanwendungen mikroskopische Dampfzellen, die parallel untersucht werden. Dabei arbeiten die Wissenschaftler mit einer ganzen Reihe von spezialisierten Lasersystemen. Begleitet werden diese Arbeiten durch eine enge Kooperation mit der theoretischen Physik sowie der Elektrotechnik.

Die Zuerkennung des Grants basiert auf Forschungsergebnissen, die die Gruppe Pfau in den vergangenen Jahren in zahlreiche Publikationen in internationalen Fachzeitschriften wie etwa Nature und Nature Physics veröffentlicht hat und die auch in der Öffentlichkeit viel Beachtung fanden. Beispielhaft genannt seien die erstmalige Realisierung eines magnetischen Quantengases, einem Bose-Einstein-Kondensat aus Chrom-Atomen, die Entdeckung von Riesenmolekülen, die aus einem hochangeregten Rydbergatom und einem Atom im elektronischen Grundzustand bestehen (http://www.uni-stuttgart.de/aktuelles/presse/2009/29.html), sowie zuletzt die Untersuchung von Riesenmolekülen im Überlagerungszustand (http://www.uni-stuttgart.de/aktuelles/presse/2010/126.html

Weitere Informationen:
Prof. Tilman Pfau, Universität Stuttgart, 5. Physikalisches Institut, Tel. 0711/685-64820, e-mail: t.pfau@physik.uni-stuttgart.de

  

Prof. Tilman Pfau wurde 1965 in Stuttgart geboren. Nach dem Studium in Konstanz, Brighton und Heidelberg promovierte er an der Universität Konstanz, wo er sich 1998 habilitierte. Nach einem Gastaufenthalt am Massachusetts Institute of Technology in der Gruppe des späteren Nobelpreisträgers Prof. Wolfgang Ketterle folgte Pfau im Jahr 2000 dem Ruf an die Universität Stuttgart und übernahm dort die Leitung des im gleichen Jahr gegründeten 5. Physikalischen Instituts. Seit 2005 ist er Sprecher des Transregionalen DFG-Sonderforschungsbereichs SFB/TRR 21, der sich gemeinsam mit den Universitäten Ulm und Tübingen mit der Quantenkontrolle in maßgeschneiderter Materie befasst. (Foto: Universität Stuttgart/Christa Müller)

ERC Advanced Investigator Grant SQTEC „Spin Quantum Technologies” (Quantentechnologie mit Elektrospins, Prof. Jörg Wrachtrup)

 

Die zunehmende Miniaturisierung in Form atomar präzise strukturierter Festkörper sowie die Integration optischer, mechanischer und elektronischer Komponenten führen dazu, dass sich quantenmechanische Phänomene auf neuartige Weise beobachten und nutzen lassen. Dies soll im Projekt SQTEC dazu genutzt werden, Informationen besonders schnell zu verarbeiten beziehungsweise zu übertragen oder Sensoren mit bis dato unerreichter Empfindlichkeit zu konstruieren. Dies soll mit einem Material erreicht werden, das für seine besondere Härte und optische Transparenz bekannt ist: Diamant. Durch gezieltes Einbringen von Fremdatomen, zum Beispiel Stickstoff, lassen sich gezielt Defekte erzeugen, die den Diamant einfärben. Physikalisch gesehen verhalten sich diese Defekte wie Atome, die in das Material eingebaut werden, optisch zugänglich sind und von ihm gegenüber Umwelteinflüssen abgeschirmt werden. Diese Atome stellen eine ideale Ausgangsbasis für die Quantentechnologie dar. Benutzt man nämlich die Elektronenspins einer bestimmten Sorte von Diamantdefekten, so lassen sich mit diesen Quantenzustände präparieren, die für die Informationsverarbeitung beziehungsweise –übertragung notwendig sind. Das Besondere dabei und wichtig für die spätere praktische Nutzung: Das Diamantgitter schirmt diese Elektronenspins so gut ab, dass die Experimente unter Umgebungsbedingungen durchgeführt werden können.

Der ERC Grant soll dazu dienen, einige technisch besonders anspruchsvolle Schritte durchzuführen. Ein Ziel ist, die atomaren Verunreinigungen mit nahezu atomarer Präzision im Diamant zu positionieren. Dazu soll ein besonders konstruierter Implanter genutzt werden, der es erlaubt einzelne Atome durch sehr kleine Öffnungen in den Diamant einzubringen. Damit wäre es möglich, möglichst große Anordnungen von miteinander wechselwirkenden Fremdatomen im Diamant herzustellen. Dies wäre die Basis, um komplexe Quantenzustände zu erzeugen und für Anwendungen nutzbar zu machen.
Die „Quantenarrays“ können auch für sensorische Anwendungen nützlich sein. So sind die Diamantdefektzentren hervorragende Sensoren für äußere Magnetfelder. Mit ihnen lassen sich Nanosonden konstruieren, die die Magnetfelder einzelner Elektronen- und Kernspins mit einer räumlichen Präzision von weniger als einem Nanometer nachweisen können. Dies könnte es erlauben, die Strukturen komplexer Materialien oder von Molekülen wie Proteinen mit bisher unerreichter Genauigkeit aufzuklären. Gleichzeitig lassen sich nur wenige Nanometer große Diamanten in Zellen oder Gewebe einschleusen, um als lokale Sonden für den pH-Wert oder die Konzentration von zellschädigenden Substanzen zu fungieren. Zusammen mit Forschungsarbeiten zum Einsatz solcher Nanodiamanten als Gen- und Wirkstofffähren entstehen für die im Rahmen des Grant durchgeführten Forschungsarbeiten äußerst reizvolle Anwendungsperspektiven.
Die Forscher des 3. Physikalischen Instituts der Universität Stuttgart sind für ihre Arbeiten zur Manipulation einzelner Atome in Diamant weltweit bekannt und erreichten damit zahlreiche Publikationen insbesondere in den Fachzeitschriften Nature, Nature Physics und Science. 2009 gelang ihnen die Synthetisierung von Diamanten aus Methanplasma, die 10.000 Mal reiner sind als lupenreine Steine. (http://www.uni-stuttgart.de/aktuelles/presse/2009/26.html) Vor einem Jahr konnten sie gemeinsam mit Kollegen der Ruhr Universität Bochum und aus Austin/Texas erstmals zwei Stickstoffatome in einem Abstand von nur wenigen Nanometern so platzieren, dass über eine Laseranregung eine quantenmechanische Kopplung entsteht und damit einen weiteren Meilenstein in Richtung Quantencomputer markieren. (http://www.uni-stuttgart.de/aktuelles/presse/2010/20.html)
 

Weitere Informationen:

Prof. Jörg Wrachtrup, Universität Stuttgart, 3. Physikalisches Institut Tel. 0711/685-65278, e-mail wrachtrup@physik.uni-stuttgart.de.

Prof. Jörg Wrachtrup wurde 1961 in Herford geboren und studierte Physik an der FU Berlin. Dort promovierte er 1994 mit einer Doktorarbeit über Magnetische Resonanz an einzelnen Molekülen. Nach einer Postdoktorandenzeit am Institut für Physik der TU Chemnitz habilitierte er sich dort im Jahr 1998 mit einer Arbeit über Optische Spektroskopie an einzelnen Quantensystemen im Festkörper. Er erhielt Rufe an die Universitäten Hamburg, Göttingen und Leipzig sowie Stuttgart. Seit Januar 2000 leitet er das 3. Physikalische Institut der Universität Stuttgart. (Foto: Privat)
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