Wie werden wir in Zukunft arbeiten? Diese Frage ist von globaler Relevanz und bewegt dementsprechend Journalisten weltweit. Unter dem Dach „Forschung in Deutschland – Land der Ideen“ hat der Deutsche Akademische Austauschdienst (DAAD) 15 Journalisten aus Ägypten, Argentinien, Costa Rica, Finnland, Indien, Indonesien, Kamerun, Mexiko, den Niederlanden, Nigeria, Serbien und der Tschechischen Republik nach Deutschland eingeladen. Die sechstägige Pressereise machte auch Station an der Universität Stuttgart beim Forschungscampus ARENA2036 und am Betriebswirtschaftlichen Institut.
Prof. Birgit Renzl, die Lehrstuhlinhaberin für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre (ABWL) und Organisation diskutierte mit den Journalisten über agile Organisationsstrukturen, die fundamentale Änderungen in Führungsstrukturen und Produktionsweise voraussetzen. Wie stark allerorten in der Industrie die Weichen auf Zukunft gestellt werden, hatte die Journalistengruppe direkt vor ihrer Diskussionsrunde mit Prof. Renzl live am Beispiel 80 Jahre Porsche am Standort Zuffenhausen erleben können.
Demokratisierung der Arbeitsprozesse
„Es ist ein großer Veränderungsprozess“, bilanziert Renzl. Mit Turnschuhen und Jeans habe der vor einiger Zeit beim Management begonnen, um schon mal zu signalisieren, dass man nicht mehr losgelöst sei von der Basis. Inhaltlich beruhen die zukünftigen Arbeitsweisen, so die allgemeine Auffassung, auf agilen Strukturen und resultieren nicht zuletzt auch aus Änderungen in der Gesellschaft. Deren Demokratisierungsprozess greife auf Firmen über. Das Konzept „Kommando und Kontrolle hat in gewisser Weise ausgedient“, stellte die Professorin mit einem einschränkenden Schmunzeln fest, wohlwissend, dass jahrzehntealte Bastionen der Macht sich nicht über Nacht zu agilen Strukturen wandeln, die dezentral das Wissen aller einbringen. Dennoch überwiegt die Zuversicht in die Überzeugungskraft des dezentralen Ansatzes: „Wir denken, wir können hier für Unternehmen positive Energien mobilisieren“.
„Heterarchien“ ist das neue Schlagwort, das Unternehmen agil machen soll. In dem dezentralisierten Organisationsmodell ist kein oben und unten vorgesehen, sondern ein selbstbestimmtes Arbeiten. „Die Unternehmensführung gibt etwas vor und die Mitarbeiter setzen es um. Das ist nicht mehr das maßgebende Prinzip“, sagt Renzl. Deshalb bestehe die Herausforderung darin, ein anderes Rollenverständnis aller in einem Unternehmen zu entwickeln. „Die Bedeutung von Kommunikation wird entscheidend zunehmen müssen“, betont die Expertin für strategische Veränderungsprozesse. „Das Unternehmen der Zukunft braucht mehr proaktives Vorgehen, mehr Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen und ein Mehr an unternehmerischer Denkweise“, fordert sie und regte damit eine lebhafte Diskussion an.
Unternehmerisches Denken gefragt
Eine Idee haben und ihr im Unternehmen Gehör verschaffen, bewertet Renzl als sehr wichtigen Bestandteil unternehmerischen Denkens jedes Mitarbeiters. Prompt wollten die Journalistinnen und Journalisten wissen, wie denn sichergestellt sei, dass demjenigen, der eine Idee habe, Gehör geschenkt werde und ihm diese Idee dann auch zugeschrieben werde. Hier schließt sich der Kreis: Diese Kultur zu ermöglichen, genau das sei Aufgabe eines Unternehmens. An jedem einzelnen liege es, eine Idee vehement zu verfolgen, auch wenn sie unter Umständen erst belächelt werde, wie im Falle des Erfinders der „Post it“ Klebezettel.
Warum aber ist die Digitalisierung so zentral in diesem „Age of Smartness“, in dem alle Bereiche mehr oder minder stark vernetzt sind und miteinander agieren? Renzl sprach dabei von einem „Kulturschock“ für viele Unternehmen. „Der Leidensdruck beim Topmanagement muss sehr groß sein, damit sie auch wirklich sehen, dass sich das eigene Unternehmen ändern muss. Sonst funktioniert das nicht“, ist sie überzeugt. Doch genau diese Einsicht setze sich mehr und mehr durch, resümiert sie optimistisch.
Bei der Debatte über die Art und Weise, wie sich der gewaltige Kulturwandel vollziehen werde, gab ein Journalist aus Ägypten am Beispiel der eigenen Zunft zu bedenken, dass es für manche Personen, die mehrere Hüte aufhätten, mitunter schwierig sei, zwischen ihren Funktionen reibungslos zu wechseln: „Die Arbeitsweisen von Journalist und Redakteur unterscheiden sich. Der Redakteur geht an das Geschriebene und ändert einiges.“ Das führe dazu, dass der Journalist, unter Umständen unzufrieden ist.“ Renzl stimmte zu, die geforderte Flexibilität sei für den Einzelnen je nach Persönlichkeitsstruktur nicht ganz einfach. Sie sei jedoch unumgänglich, zumindest in Industrien, die kreativ und dynamisch sind. „Wir sagen unseren Studierenden, dass es für Unternehmen immer wichtiger wird, nach Bedarf unterschiedliche Funktionen zu übernehmen, sich also flexibel aufzustellen.“ Mit einem Minimum an Regeln nach Lösungen suchen, das betreffe vor allem das Projekt- und Produktmanagement neueren Stils, wo genau nicht detaillierte Lastenhefte das Mantra sind sondern wiederum Agilität.
Möglich mache das neue Arbeiten nicht zuletzt die Digitalisierung. Die klare Botschaft: Das digitale Zeitalter setzt die „alte Wirtschaftsordnung“ (Old Economy) gewaltig unter Druck. Die Geschwindigkeit mitmachen oder das Rennen verlieren, lautet die verbreitete Erkenntnis von Ökonomen wie dem Amerikaner Jeremy Rifkin. Renzl dazu: Agil bedeutet in VUCA-Zeiten, also Zeiten steigender Volatilität, Unsicherheit, Komplexität und Ambiguität, dass ein Unternehmen den Spagat zwischen Adaptieren und Stabilität vollbringen muss, und zwar schnell.