Paula Laßmann ist Doktorandin bei Prof. Thomas Maier am Forschungs- und Lehrgebiet Technisches Design am Institut für Konstruktionstechnik und Technisches Design. Sie hat einen neuartigen anpassungsfähigen Rollator-Griff entwickelt. Der Griff hat eine silberfarbene Textilhülle, ist etwas größer im Durchmesser, und ähnelt einer prall gefüllten Wurst. Das Besondere daran: er passt sich individuell an die Form und die Größe der Hand an. Den Handgriff hat Laßmann speziell für Senioren entwickelt.
„Alte Menschen haben oft nicht mehr so viel Kraft oder haben infolge von Arthrose verkrümmte Hände, so dass sie den Griff nicht richtig greifen können“, erklärt die Doktorandin. „Das Ziel ist, dass der Rollator-Griff flexibel auf Handverformungen reagiert. Er sollte sich auch dann anpassen, wenn der Winkel der greifenden Hände sich verändert, etwa bei der Berg- und Talfahrt, beim Aufstehen oder dem Anheben des Rollators über den Bordstein“, ergänzt die Nachwuchswissenschaftlerin. So könne die Kraft immer optimal übertragen und der Druck auf die Hand gleichmäßig verteilt werden.
Kaffee – nicht nur zum Trinken gut
Der Griff fühlt sich an wie ein sandgefüllter Luftballon. Tatsächlich versteckt sich unter der Textilhülle eine selbst gegossene Silikonhülle, gefüllt mit Kaffeepulver. Studentische Mitarbeiter haben es im heimischen Thermomix eigens gemahlen. „Der Vorteil von Kaffee ist, dass wir die Mahlstärke variieren können, um so die beste Verformungseigenschaft des Griffs zu erzielen“, erklärt Laßmann.
Sobald die Hand beim Umfassen des Griffs ihren Abdruck eindrückt, saugt eine Vakuum-Pumpe Luft aus dem Griff. Der Griff wird dadurch fester und der Abdruck quasi „eingefroren“. Auf der Silikonhülle aufgeklebte Sensorstreifen messen die Flächenpressung und schlagen Alarm, wenn er zu groß wird. Daraufhin bläst die Pumpe wieder Luft in den Griff und der Griff kann erneut angepasst werden – entweder an eine neue Bediensituation oder an einen anderen Nutzer. Zusätzlich lässt sich der Griff über einen Schalter am Rollator an kleinere Hände anpassen. Dazu drückt ein Spindelantrieb in einer Kunststoffhülse im Innern des Griffs eine Art Stempel nach außen. Der 13 Zentimeter lange elastische Silikon-Griff wird so um weitere 3 Zentimeter verlängert und verschlankt dabei, so dass auch kleinere Hände den Griff optimal umfassen können.
Die Idee für einen solchen adaptiven Handgriff hatte ein ehemaliger Doktorand des Instituts, Benedikt Janny, der sich mittlerweile mit einem Dienstleistungs-Start-up selbständig gemacht hat. „Unser Institut beschäftigt sich schon seit längerer Zeit mit Drehteilen, die ihre Form anpassen können“, erzählt Laßmann.
Der Mensch ist dafür gemacht, Dinge anzufassen.
Paula Laßmann, Doktorandin am Institut für Konstruktionstechnik und Technisches Design
Sie selbst kam vor drei Jahren als wissenschaftliche Mitarbeiterin an das Institut. Zunächst beschäftigte sich Laßmann mit dem automatisierten Fahren von Lastkraftwagen. Doch dann suchte Benedikt Janny nach einer Nachfolgerin oder einem Nachfolger für sein adaptives Handgriff-Projekt. „Im Studium habe ich viel benutzerzentrierte Software entwickelt, aber mit der Zeit habe ich gemerkt, dass ich lieber was Handfestes designe. Der Mensch ist dafür gemacht, Dinge auch anzufassen und zu erleben“, erzählt die studierte Kognitionswissenschaftlerin mit einem Master in Ergonomie.
Noch zusammen mit Janny hat Laßmann erfolgreich eine Förderung von 40.000 Euro aus dem universitätsinternen Wissens- und Technologietransfer-Fond eingeworben. Das Ziel: innerhalb eines Jahres die zum Patent eingereichte Erfindung zu einem Produkt umzusetzen. „Ohne diese Förderung hätten wir den adaptiven Rollatorgriff gar nicht erst gebaut, weil uns die finanziellen Mittel gefehlt hätten“, sagt Laßmann.
Doch Herausforderungen habe es anfangs viele gegeben. Das ursprüngliche Konzept, bei dem die vielen vorgesehenen mechanischen Teile sich nicht auf engstem Raum haben verbauen lassen, scheiterte. Schließlich entwickelte Laßmann das neue Konzept mit der Kaffeepulver-gefüllten Silikonhülle und tüftelte zusammen mit ihren zwei studentischen Mitarbeitern daran herum. „Der Griff funktioniert, aber er ist nach wie vor ein Demonstrator. Jetzt muss sich zeigen, ob er sich auch serientauglich umsetzen lässt“, so Laßmann.
Bordstein und Rampe als Bewährungsprobe
Als nächstes möchte die Doktorandin mit einer Nutzerstudie herausfinden, wie sich der Handgriff im Alltag bewährt. Sobald die Universität nach der Coronakrise wieder ihre Pforten öffnet, soll es losgehen. Auch sonst gibt es noch das eine oder andere, das sich optimieren ließe. Zum Beispiel soll das Stromkabel für den Griff durch einen kleinen Akku ersetzt werden. Und der Griff müsste sich noch schneller an wechselnde Bedienszenarien anpassen.
„Um den Handgriff zur Marktreife zu entwickeln, braucht es viel Kapital. Am einfachsten gelingt das wahrscheinlich, wenn wir eine große Firma als Partner finden würden“, hofft Laßmann. Die universitätsinterne Förderung ist letztes Jahr ausgelaufen. „Es wäre schön, wenn sich eine weitere Finanzierungsmöglichkeit für das Projekt ergeben würde“. Der adaptive Handgriff ließe sich nämlich nicht nur beim Rollator einsetzen, sondern auch bei Fahrrädern, Rollstühlen oder Elektrogeräten. „Bei Überkopf-Arbeiten, zum Beispiel mit einem Akkuschrauber, wäre es für eine bessere Kraftübertragung sicher sinnvoll, wenn der Griff sich anpassen ließe“, erläutert die Ergonomin.
Kontakt
Paula Laßmann, M. Sc., Institut für Konstruktionstechnik und Technisches Design, Forschungs- und Lehrgebiet Technisches Design, Universität Stuttgart, Tel. +49 (0)711 685 66206, E-Mail.