Stephan Trüby ist neuer Leiter des IGMA

„Die Debatte in die Architektur zurückbringen“

Nicht nur „reine“ Wissenschaft, sondern auch Debatten kreieren will Prof. Stephan Trüby, der im April 2018 das Institut Grundlagen moderner Architektur und Entwerfen (IGMA) übernommen hat. Anknüpfend an die Tradition des Instituts setzt er Akzente in den Bereichen Politik und Ökonomie der Architektur und thematisiert die Elemente des architektonischen Raums.

Trübys Start in Stuttgart fiel mit einem rechten Shitstorm zusammen. Auslöser war ein Beitrag in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (FAS), in dem der Architekturtheoretiker aufzeigte, dass die parlamentarische Initiative für den Wiederaufbau der so genannten „Neuen Frankfurter Altstadt“ auf Rechtsradikale zurückgeht. Die Schärfe der Reaktionen sei typisch für die aktuelle Auseinandersetzung mit der Moderne, in der das Pendel zunehmend von Sehnsucht in Richtung Hassobjekt schwingt. „Ich habe nichts gegen Rekonstruktionen und schon gar nichts gegen Fachwerk“, sagt Trüby. Man müsse aber sensibel beobachten, welche Akteure damit welche Ziele verfolgen und welche Sehnsüchte bedient werden.

Immerhin brachte der Beitrag, der einen Gegenartikel in der Welt, aber Unterstützung von der wichtigsten deutschsprachigen Architekturfachzeitschrift ARCH+ sowie Dutzender Professorinnen und Professoren aus Deutschland, Österreich, Luxemburg, Großbritannien, den Niederlanden und der Schweiz hervorrief, die Debatte in die Architektur zurück. Zu lange sei diese vernachlässigt worden - zu Unrecht, meint Trüby: „Architektur darf nicht im luftleeren Raum passieren, sie entsteht immer in einem politischen Kräftefeld.“

Stephan Trüby, geboren 1970 in Stuttgart, studierte Architektur an der Universität Stuttgart und an der Architectural Association (AA) in London. Er promovierte an der Hochschule für Gestaltung Karlsruhe, wo er zuvor bereits als Professor für Temporäre Architektur und Raumtheorie  tätig war. Weitere akademische Stationen waren unter anderem die Zürcher Hochschule der Künste, die Harvard University, Cambridge/USA sowie zuletzt die TU München. Trüby ist Mitglied der Architektenkammer Baden-Württemberg und ständiger Autor der Zeitschrift ARCH+.

Was Finanzierungsformen mit der Architektur machen

Genau diesem Kräftefeld – das auch eine Vielzahl ökonomischer Facetten umfasst – gilt eines der Forschungsinteressen des Wissenschaftlers. Er fragt zum Beispiel, wie Veränderungen in der Baufinanzierung sich auf die Architektur auswirken. Großprojekte wie der Bau der Zahnradbahn auf das Jungfraujoch in der Schweiz etwa seien überhaupt erst möglich geworden, seit es Aktiengesellschaften gibt, die das erforderliche Kapital einsammeln können. Arbeitersiedlungen wie die Berliner Taut-Siedlungen seien typische Projekte keynesianischer Prägung, Trutzburgen gegen den Kapitalismus, überwiegend von gemeinnützigen Wohnungsbaugesellschaften und Genossenschaften errichtet.

Der Neoliberalismus der 1990er-Jahre wiederum habe die Stärkung der Privatwirtschaft und den Rückzug der öffentlichen Hand aus dem Baugeschehen in die Wege geleitet – mit Folgen bis heute: „Ohne die öffentliche Hand ist eine Moderne im Sinne einer verantwortungsbewussten Gestaltung einer besseren Welt kaum denkbar“, meint Trüby und moniert nicht zuletzt den Stuttgarter Luxuswohnungsbau, dessen explodierende Preise nur sehr bedingt durch gute Architektur gedeckt sind. Derartige Fehlentwicklungen führen letztendlich auch zu politischen Verwerfungen. „Wer keine bezahlbare Wohnung findet, wählt eher Parteien an den politischen Rändern.“

Von der Promotion zur Biennale

Ein zweites Forschungsfeld geht bis auf Trübys Doktorarbeit aus dem Jahre 2011 zurück, in der sich der Wissenschaftler mit der Kulturgeschichte des Korridors befasste. Es folgte eine Serie über andere Elemente der Architektur, Boden, Treppe, Dach. „Über diese Elemente lässt sich beispielsweise der revolutionäre Prozess der Digitalisierung in der Architektur erzählen“, erklärt Trüby. Der Blick auf die Architektur durch die Brille ihrer Fragmente war damals eine Provokation. Doch sie überzeugte Rem Koolhaas, Direktor der Architektur-Biennale 2014 in Venedig. Er gab der Hauptausstellung der unter dem Motto „Fundamentals“ stehenden Architekturschau die Überschrift "Elements of Architecture". Trüby wurde ihr Forschungsleiter und Co-Kurator.

Kontroversen haben Tradition am IGMA, das vor exakt 50 Jahren als erstes Institut für Architekturtheorie und Entwerfen in Deutschland gegründet wurde – ganz im Geiste der 1968er „gegen die Theoriefeindlichkeit einer dogmatisch erstarrten Moderne“. Auch die Geschichte des IGMA selbst ist daher ein Forschungsgebiet Trübys. „Alle wichtigen Diskurse, die in der Architektur in den letzten 50 Jahren geführt wurden, wurden auch hier geführt.“ Die Themen lassen sich entlang der Namen der Institutsleiter erzählen: die Planungstheorie und später die Postmoderne unter Institutsgründer Prof. Jürgen Joedicke, dann, nach der Wiedervereinigung, der Blick nach Ostdeutschland und Osteuropa unter Prof. Werner Durth, zuletzt das organische Bauen – Stichwort Baubotanik – unter Prof. Gerd de Bruyn.

Bereitschaft für Neues

Diese herausragende Stellung des IGMA ist ein Faktor, der Stuttgart für Trüby zu einem hochinteressanten Ort für Architektur macht. Der andere ist eine progressiv gesinnte Zivilgesellschaft, in der „selbst die konservativen Kräfte verändern wollen“. Stuttgart sei, ähnlich wie Rotterdam, eine „untercodierte“ Stadt; eine Stadt, in der Geschichte nicht alles andere dominiert. Das bringe große Vorteile mit sich:„In so einem Umfeld reißt man zwar manchmal etwas ein, aber es kann auch viel Neues entstehen.“

Institut für Grundlagen moderner Architektur und Entwerfen (IGMA)

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