Neues Denken in der Lehrerbildung

Prof. Christine Sälzer will Lehramtsstudierende besser für den beruflichen Alltag rüsten.

Die PISA-Studie gilt als Fieberthermometer des Bildungssystems. Nationale Projektleiterin des viel beachteten Schulleistungsvergleichs war über sieben Jahre hinweg Dr. Christine Sälzer. Als Professorin für Erziehungswissenschaft an der Universität Stuttgart möchte die Bildungsforscherin die Ergebnisse jetzt stärker in die Lehrerbildung integrieren.

Wenn die OECD im Dezember die nächsten PISA-Ergebnisse veröffentlicht, wird die Bildungsszene in Deutschland einmal mehr den Atem anhalten. Denn noch heute wirkt der Schock der ersten PISA-Studie im Jahr 2001 nach, die deutschen Schülerinnen und Schülern im internationalen Vergleich eben mal Mittelmaß bescheinigte und zudem krasse Ungleichheiten zutage förderte. Knapp zwei Jahrzehnte und etliche Schulreformen später haben die deutschen Kids zwar aufgeholt. Doch in den Lehrerzimmern sorgt PISA immer noch für Stress. „Viele Lehrerinnen und Lehrer fürchten, durch die Studien würde ihre individuelle berufliche Qualität beurteilt oder gar der Berufsstand insgesamt verunglimpft“, hat Christine Sälzer beobachtet. „Solche Rückschlüsse lassen das Studien-Design und die Daten jedoch gar nicht zu.“

Dennoch: Wenn die PISA-Ergebnisse den weiten Weg in den Unterricht finden sollen, müssen Lehrer die Scheu vor den Studien verlieren. Und sie müssen lernen, mit unterschiedlichen Bildungschancen, Migrationshintergründen, der frühen Selektion oder einer zunehmenden Bildungspanik seitens der Eltern umzugehen. Dies gelinge am besten, wenn man bereits in der Lehrerbildung ansetzt, meint Sälzer: „Deshalb bin ich hier.“

Kleiner Standort, große Gestaltungsmöglichkeiten

„Hier“ ist das Institut für Erziehungswissenschaft der Universität Stuttgart, wo die dreifache Mutter seit Herbst 2018 die Abteilung Pädagogik leitet. Kein klassischer Standort für eine Erziehungswissenschaftlerin. Viele Kolleginnen und Kollegen rieben sich verwundert die Augen, als Sälzer nach Stationen in Fribourg (Schweiz), Stanford, an der TU München und zuletzt an der Universität Heidelberg den Ruf auf eine Professur in Stuttgart annahm. „Doch das kleine Institut hier bietet große Möglichkeiten“, sagt die Wissenschaftlerin: „Ich kann hier nicht nur forschen und lehren, sondern auch gestalten.“

Dass dem so ist, liegt auch an der Professional School of Education Stuttgart-Ludwigsburg (PSE), der Christine Sälzer – gemeinsam mit Prof. Jörg U. Keßler von der Pädagogischen Hochschule (PH) Ludwigsburg – als Direktorin vorsteht. Die PSE ist ein Zusammenschluss der Universitäten Stuttgart und Hohenheim, der PH Ludwigsburg sowie der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste und der Staatlichen Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Stuttgart. Sie besteht bereits seit 2016 und wird im Rahmen des Projekts „Lehrerbildung PLUS“ in der „Qualitätsoffensive Lehrerbildung“ des Bundesministeriums für Bildung und Forschung gefördert. Die Partner haben sich das Ziel gesetzt, die Lehrerbildung neu zu denken. Dafür bündeln sie ihre Kompetenzen in den Bereichen Fachwissenschaften, Fachdidaktiken und Bildungswissenschaften. „Im Rahmen der PSE können Lehramts-Studierende Kurse, die an der eigenen Hochschule nicht angeboten werden, an einer der Partnerhochschulen besuchen“, schildert Sälzer die Vorteile. So können sie sich das Fachwissen für das Erkennen größerer Zusammenhänge, eher eine Domäne der Universitäten, ebenso aneignen wie die pädagogische Expertise zum Beispiel für den Unterricht bei jüngeren Schülern, die eher an der PH zu finden ist. „Lehramtsstudierende brauchen heute beides“, betont Sälzer. Dies gilt auch mit Blick auf den Arbeitsmarkt, auf dem Absolventen mit einem Abschluss für die Sekundarstufe II nicht sicher sein können, ob sie später tatsächlich Oberstufenklassen an einem Gymnasium unterrichten oder nicht doch 12-Jährige an einer Gesamtschule.

Managementkompetenzen und Persönlichkeitsentwicklung

Im Rahmen von Fachgruppen in der PSE möchte Sälzer unter anderem erforschen, wie man angehende Lehrkräfte besser darauf vorbereitet, „ihren Beruf zu überleben“. Dazu gehören so unterschiedliche Kompetenzen wie das Management unterschiedlicher Gruppengrößen und Lerntempi oder das blitzschnelle Erfassen wechselnder Situationen und Störungen, aber auch Fragen der Persönlichkeitsentwicklung. „Lehrer müssen damit klarkommen, jeden Morgen früh aufzustehen, sie brauchen Resilienz und einen guten Umgang mit ihrer Gesundheit“, zählt Sälzer exemplarisch auf.

Bisher werden diese Herausforderungen oft erst im Referendariat so richtig spürbar. Zeigt sich dann, dass einem jungen Menschen der Lehrerberuf nicht liegt, kommt dies sehr spät und ein Umlenken ist schwierig. Sälzer will den Studierenden schon früher die Augen öffnen: „Wir suchen nach Wegen, um Reflexionsprozesse zu steuern und anzuleiten.“ Möglich sei dies insbesondere im Rahmen von Praktika, wenn diese entsprechend vor- und nachbereitet werden.

Training für heikle Gespräche

Als weiteres Element sollen im Rahmen von Lehrerbildung PLUS Trainingseinheiten entwickelt werden, die angehende Lehrer besser auf heikle Kommunikationssituationen vorbereiten. Pate steht dabei die Medizinerausbildung: „Eltern zu sagen, dass ihr Kind nicht versetzt wird, ist ähnlich schwierig wie das Überbringen einer Krebsdiagnose“, sagt Sälzer. Um eine solche Situation zu meistern, braucht man psychologische, kommunikative und interkulturelle Kompetenzen, Deeskalationstechniken sowie die Bereitschaft und Fähigkeit, sich auf andere einzulassen. Lernen kann man all dies unter anderem mit Hilfe von Videos, Simulationen und Rollenspielen.

Digitale Kompetenzen stärken

In einem anderen Projekt mit dem Namen MakEd_digital will Sälzer im Rahmen der PSE angehende Lehrkräfte fit machen für die Digitalisierung an den Schulen. Die Fragen, um die es dabei geht, sind vielschichtig und betreffen sowohl die einzelnen Schulfächer, als auch den didaktischen und pädagogischen Bereich: Wie lernen Roboter laufen? Wieso bezahle ich kostenlose Angebote mit meinen Daten? Wie landet man in einer Filterblase? Wie kann ich ein Erklärvideo drehen und im Internet zur Verfügung stellen? Kern des Projekts ist ein pädagogisch-didaktischer Makerspace, in dem Studierende, aber auch Dozentinnen und Dozenten digitale Ideen ausprobieren können und dabei technische, medienpädagogische und didaktische Unterstützung erhalten. Ziel ist es, das Wissen um die Möglichkeiten digitaler Lehr- und Lernszenarien zu erweitern und zugleich eine positive Haltung zum digitalen Lehren und Lernen zu unterstützen.

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