Der „Global Seed Fund“ des Massachusetts Institute of Technology (MIT) ermöglicht ambitionierten Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern der Universität Stuttgart eine Anschubfinanzierung für ihre Forschungsprojekte. Engere Beziehungen in Forschung und Lehre zwischen beiden Universitäten aufzubauen, ist Ziel dieses Programms.
Zwei Wissenschaftler der Universität waren bei der letzten Ausschreibung erfolgreich: Kent Stewart vom Institut für Medizingerätetechnik (IMT) und Karsten Schindler vom Deutschen SOFIA Institut (DSI) erhalten gemeinsam mit Ihren Partnern am MIT jeweils rund 25.000 US-Dollar zur Durchführung ihrer Projekte.
Verfahren der Blutabnahme soll verbessert werden
Dr. Kent Stewart ist seit Februar 2018 als Postdoc am IMT. Während seiner Promotion in Neuseeland führte er klinische Studien mit älteren, stationären Patienten durch und wurde so auf viele Probleme rund um das Thema der Blutabnahme aufmerksam. Insbesondere der Nadeleinstich und das Wissen um die Stabilität der Venenwand sind Bereiche mit einem großen Verbesserungsbedarf. Obwohl die Blutabnahme einer der am häufigsten durchgeführten, invasiven Vorgänge in der Medizin ist, kommt es immer wieder zu Komplikationen. Die Wahrscheinlichkeit einer Blutergussbildung oder eines Venenkollapses hängt maßgeblich von der Erfahrung des durchführenden medizinischen Personals ab.
Besuch beim MIT und IMT
„Die Finanzierung durch den Seed Fund ist eine großartige Chance für uns. Sie ermöglicht nicht nur, den Forschungsbereich rasch zu erweitern, sondern legt auch den Grundstein für eine zukünftige Kooperation mit dem MIT. Neuartige Experimente für diesen Themenbereich können nun realisiert werden.“ Stewart ist sehr glücklich über die Zusammenarbeit mit Prof. Alexander Slocum und Dr. med. Nevan Hanumara, zwei erfahrene Wissenschaftler aus dem Bereich des Medizingerätedesigns am MIT, und hofft auf tiefgehende Forschungsergebnisse aus diesem Projekt.
Das Projekt ist auf drei Hauptbereiche rund um die Blutabnahme konzentriert. Erstens, die Feststellung der Einstichtiefe relativ zur Vene. Ein partieller Einstich oder ein Durchstich führen häufig zu einem Bluterguss und sollten daher vermieden werden. Zweitens, genaue Untersuchungen dazu, wie ein Venenkollaps verhindert werden kann, womit ein weiterer Vorteil einher geht. Durch das Aufrechterhalten der Vene werden die Blutzellen vor ein Zerstörung geschützt und demzufolge der Erhalt einer unversehrten Blutprobe sichergestellt. Schließlich ist die Konzeption eines realistischen Dummies notwendig, mit dem die für die Venenpunktation entwickelten Geräte geprüft werden können. Das Bestreben des Projekts ist die Bereitstellung eines Medizingeräts, das dem medizinischen Fachpersonal einen besseren Einblick in die Abläufe unter der Hautoberfläche ermöglicht und somit den Prozess der Blutabnahme für den Patienten optimiert.
Das Seed Fund Projekt kombiniert das Wissen, die Ressourcen und die klinische Erfahrung der beiden Forschungseinrichtungen MIT und IMT. Sie stellen jeweils zwei Studenten aus dem Masterfach „Medizingerätedesign“ des MIT und dem Masterstudiengang „Medizintechnik“ der Universität Stuttgart mit dem Ziel der Entwicklung eines ersten, funktionierenden Prototyps. Dabei werden sie durch die beiden Projektleiter des MIT und IMT angeleitet und unterstützt.
Der Seed Fund ermöglicht Studierenden und Forschenden des MIT und IMT durch die Übernahme der Reisekosten für das Jahr 2019, direkte Einblicke in die Arbeit des jeweilig anderen Instituts. „Die Kooperation wurde geschaffen, um Forschungsverbindungen zwischen den beiden Gruppen des MIT und IMT über ein klinisch relevantes Thema aufzubauen. Der gemeinsam erarbeitete Proof-of-concept führt hoffentlich zu weiteren Forschungsthemen, welche den Prozess der Blutabnahme verbessern und vor allem die Komplikationen verringern“, so Kent Stewart. Im Moment sucht Stewart nach Studierenden, die ihre Studien- oder Masterarbeit in Zusammenarbeit mit dem MIT absolvieren wollen. Wer einer Teilnahme interessiert ist, kann ihn kontaktieren.
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Dr. Kent Stewart, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Medizintechnik
Vermessen von Himmelskörpern am Rande des Sonnensystems
Karsten Schindler beschäftigt sich gemeinsam mit Amanda Bosh und ihren Kollegen am MIT mit der Messung von so genannten Sternbedeckungen. Er ist 2013 über ein Forschungsstipendium zum SOFIA Projekt am NASA Ames Research Center gekommen und lebt seitdem in den USA. Seit 2015 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter am Deutschen SOFIA Institut in NASA Ames. Den Begriff Sternbedeckungen erklärt er folgendermaßen: Ein Körper in unserem Sonnensystem kreuzt auf seiner Bahn eine gedachte Linie zwischen einem Beobachter auf der Erde und einem Stern, der damit für eine messbare Zeitdauer verdeckt wird - analog wie bei einer Sonnenfinsternis. Mit einer schnellen Kamera und genauer Zeiterfassung kann man aus der Dauer der Bedeckung Rückschlüsse auf die Größe und Form eines Objekts schließen, und aus dem Verlauf der Lichtkurve den Nachweis einer Atmosphäre oder eines Ringsystems erbringen. Die allermeisten Kleinplaneten in unserem Sonnensystem sind so weit von der Erde entfernt, dass man sie selbst mit den leistungsstärksten Teleskopen nicht mehr räumlich auflösen kann. Sternbedeckungen sind daher fast immer der einzige Weg, einen Körper direkt zu vermessen.
Das wissenschaftliche Interesse gilt insbesondere Körpern im äußeren Sonnensystem, den so genannten trans-Neptunischen Objekten, deren Bahnen jenseits des Neptun liegen. Der bekannteste Vertreter dieser Gruppe ist Pluto. Seit den 90er Jahren wurde eine Vielzahl an Objekten im äußeren Sonnensystem entdeckt. Dies hat letztlich Pluto den Planetenstatus gekostet. Über die physikalischen Parameter dieser Objekte ist bislang nur sehr wenig bekannt. Erst im letzten Jahrzehnt gelangen vor allem durch Messungen von Sternbedeckungen erste Einblicke in die Natur dieser Körper. Dabei trat eine überraschende Vielfalt hinsichtlich Größe, Reflektionsvermögen, Oberflächenbeschaffenheit und Form zu Tage.
In der Theorie ist die Vorgehensweise denkbar einfach: Kennt man die Bahn eines Körpers, lässt sich vorhersagen, wann und von welchem Ort auf der Erde eine Bedeckung eines Sterns beobachtet werden kann. In der Praxis ist das viel leichter gesagt als getan. Erst seit Kurzem kennt man die Position von Sternen dank der europäischen Satellitenmission Gaia sehr präzise. Um die Bahnparameter des Körpers exakt bestimmen zu können, muss dessen Position im Verlauf der Zeit immer wieder vermessen werden, idealerweise über einen weiten Teil seiner Umlaufbahn. Dies gestaltet sich jedoch bei Objekten jenseits des Neptuns mit mehreren Hundert Jahren Umlaufzeit als schwierig. Umso genauer muss die Position interessanter Objekte vermessen werden, um ihre scheinbare Bahn am Himmel hinreichend extrapolieren zu können und Vorhersagen von Sternbedeckungen mit hoher Genauigkeit zu ermöglichen.
Mit der fliegenden Sternwarte SOFIA, dem Stratosphären Observatorium für Infrarot Astronomie, dessen deutscher Beitrag seine Heimat an der Universität Stuttgart am Institut für Raumfahrtsysteme hat, steht eine einzigartige Plattform zur Beobachtung solcher Ereignisse zur Verfügung. SOFIA kann zur richtigen Zeit zum richtigen Ort fliegen und damit auch in schwierig zugängigen Teilen der Erde und unabhängig vom Wetter Sternbedeckungen beobachten. Dies gelang in der Vergangenheit bereits unter Leitung von Forschern des MIT u.a. für Pluto, den Neptunmond Triton, und den Saturnmond Titan. „Das Seed Fund Projekt zielt darauf ab, Sternbedeckungen weiterer interessanter Körper mit noch deutlich größerem Abstand zur Erde mit so hoher Genauigkeit vorhersagen zu können, dass wir diese im Idealfall mit SOFIA beobachten können“, erklärt Karsten Schindler. Dazu müssen die jüngsten Fortschritte in der genauen Kartografierung des Sternhimmels (Gaia DR2 Sternenkatalog, erschienen April 2018) zum Tragen kommen und neue Werkzeuge entwickelt werden, um die Daten nutzen zu können.
„Wir planen, Studierende der Universität Stuttgart aktiv in diese Forschung einzubinden und Kurzzeitaufenthalte am MIT zu ermöglichen, insbesondere als Katalysator für mögliche Abschlussarbeiten“, so Schindler. Aufenthalte von Studierenden und Forschenden des MIT sollen die Zusammenarbeit bei der Datenauswertung, Interpretation und Veröffentlichung vergangener Beobachtungen intensivieren und das gemeinsam koordinierte Beobachtungsprogramm auf SOFIA weiter stärken und ausbauen. Außerdem ist angedacht, dass Studierende beider Einrichtungen Beobachtungen von Sternbedeckungen an bodengebundenen Großteleskopen in den USA und Europa unterstützen werden und damit einmalige Einblicke in die astronomische Forschungslandschaft erhalten. Und sollte der Schatten einer Bedeckung einmal über Kalifornien streifen, steht das ferngesteuerte, astronomische Teleskop der Universität Stuttgart (ATUS) bereit, das bereits wertvolle Daten zu vergangenen Ereignissen geliefert hat.
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Karsten Schindler, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am DSI
Das Programm Global Seed Fund wird von der MIT International Science and Technology Initiative (MISTI) verwaltet.