Große Freude am Institut für Raumfahrtsysteme (IRS) der Universität Stuttgart. Endlich ist es soweit: Eine äußerlich recht unspektakuläre Box ist startklar fürs All. Im Spätherbst 2018 geht es von der Erprobung in die Praxis.
Die Doktoranden Jochen Keppler und Harald Helisch zelebrierten im Dezember den für sie ganz besonderen Moment, in dem sie zwei Photobioreaktorkammern (PBR) an Heinz Hartstein von Airbus Defence and Space übergaben. Auch Reinhold Ewald war bei der Übergabe an Airbus DS vor Ort. Der ehemalige Astronaut und Nachfolger von Raumfahrer Ernst Messerschmid als Professor für Astronautik und Raumstationen am IRS gratulierte den Wissenschaftlern Keppler und Helisch zu ihrem wichtigen Etappensieg.
Luft und Nahrung für die Astronauten
Überleben im All über lange Zeit zu möglichst effizienten Bedingungen. Dazu brauchen die Astronauten in der geschlossenen Raumkapsel neben angenehmen Temperaturen vor allem Luft zum Atmen, Wasser und Nahrung. Das IRS forscht an solchen Lebenserhaltungssystemen für die bemannte Raumfahrt und legt dabei seit 2010 den Fokus auf biotechnologische Systeme, mit deren Hilfe man Sauerstoff aus Kohlendioxid zurückgewinnen und gleichzeitig essbare Biomasse produzieren kann.
Für die Raumfahrtanwendung besonders geeignet ist die Mikroalgenspezies Chlorella vulgaris, da sie schnell wächst und wenig Platz und Wasser braucht. Die kugelförmige Mikroalge ist reich an Proteinen und könnte bis zu 30 Prozent des täglichen Nahrungsbedarfs der Astronauten decken.
Der Versorgung mit Sauerstoff und der Bereitstellung von Nahrung auf regenerative Weise widmet sich die interdisziplinäre Forschung des Luft- und Raumfahrtingenieurs Jochen Keppler zusammen mit dem Biotechnologen und Molekularbiologen Harald Helisch. Mit der Photobioreaktorkammer ist den beiden Wissenschaftlern die Entwicklung eines geschlossenen, weltraumtauglichen Systems zur Mikroalgenkultivierung gelungen.
Airbus vertraut auf Modell der Forscher
Nicht ohne Stolz berichtet Keppler, dass die Prototypen in Stuttgart aufgebaut, entwickelt und getestet wurden: „Die Industrie hat kein eigenes Prototypenmodell, sondern integriert unsere PBR direkt in ihr Flugmodell.“ Airbus übernimmt die fertige Reaktorbox samt dem sogenannten ‚Liquid Exchange Device‘, einem speziellen Gerät zur Versorgung der Algen mit Nährstoffen und für deren Ernte, aus den Händen der Universität.
Erfolgreiche Langzeittests
Die technische Machbarkeitsstudie hat die PBR unter so real wie möglich gestalteten Weltraumbedingungen in zwei Langzeittests von jeweils 180 Tage am Boden erfolgreich erfüllt. „Wir sehen, dass wir für die gesamte Zeit in der Lage waren, Sauerstoff nach unseren Vorgaben zu produzieren und dafür entsprechende Mengen an CO2 aufzunehmen“, erläutert Harald Helisch.
Minimierung des Nachschubbedarfs und Effizienzsteigerung
Der für das Leben an Bord unerlässliche Sauerstoffkreislauf wird im sogenannten physikochemischen Lebenserhaltungssystem technologisch geschlossen. Dieses Lebenserhaltungssystem oder Life Support Rack (LSR) kommt 2018 auf die Internationale Raumstation ISS. Doch Keppler und Helisch stellten sich die Frage: Was können wir an diesem LSR noch anders machen, wie kann das geschlossene System noch effizienter gestaltet werden? Mit der Biologie als Mitspieler war die Idee geboren, einen Photobioreaktor mit ins LSR-System einzubinden und diesen mit Algenflüssigkeit zu füllen.
Hybrides Lebenserhaltungssystem
Während das LSR von Airbus in der Größe eines Kleiderschranks drei Astronauten mit Sauerstoff versorgen kann, ist die PBR kein eigenständiges Lebenserhaltungssystem. „Es ist ein Technologie-Demonstrationsexperiment“, stellt Keppler klar. „Der Bedarf eines Menschen sind rund 840 Gramm Sauerstoff am Tag. Davon sind wir weit weg. Aber Primärziel ist ja, zu zeigen, dass wir mit unserem PBR CO2 aufnehmen und in Biomasse transformieren können. Diese geht nicht verloren – das ist der große Unterschied zu klassischen technologischen Verfahren.“
Im Herbst 2018 geht es daher nicht darum, die Astronauten zu ernähren. Ziel ist es nachzuweisen, dass Photobioreaktoren über einen langen Zeitraum stabil im Weltraum betrieben werden können.
Experiment im All liefert weitere wichtige Daten
Die Fragestellung während der Mission im All lautet: Wie verhält sich die Alge in einem Habitat, wo Schwerelosigkeit und kosmische Strahlung herrscht? Um dies zu klären, bekommen die Doktoranden einige eingefrorene Proben aus dem Weltall, die der Biotechnologe Helisch untersuchen wird. Beide sind gespannt auf die Ergebnisse: „Ein hybrides Lebenserhaltungssystem ist im Weltall bisher noch nie nachgewiesen worden.“