Mingyang Guo kennt das Institut unter Leitung von Tilman Pfau bereits, schließlich forscht der promovierte Physiker dort seit August 2018. Mit dem Alexander von Humboldt-Stipendium kann er nun seine Forschungstätigkeit an der Universität Stuttgart um zwei Jahre verlängern. „Es ist ein ziemlich beeindruckendes Institut: Wir diskutieren ständig über physikalische Probleme“, schwärmt Guo. Zuvor hat er in einer eher kleinen Forschungsgruppe an der Universität von Hongkong geforscht.
Guos ganze Faszination gilt der Quantenphysik, seit er als Student auf der Suche nach seiner zukünftigen Forschungsrichtung auf ein Buch über Laserkühlung stieß. „Beschießt man ein Material mit starkem Laserlicht, wird es sich normalerweise erwärmen“, erzählt Guo. Paradoxerweise können Laser bei geschickter Versuchsanordnung Atome aber auch extrem tief herunterkühlen. Die Temperatur kann noch weiter bis nahe des absoluten Nullpunktes von minus 273 Grad Celsius gesenkt werden, indem die Atome quasi eingesperrt werden. Dabei setzt gleichzeitig Verdunstungskühlung ein. „Ein ähnliches Prinzip haben wir bei einer Tasse heißen Kaffees: Die energiereichsten Wassermoleküle verdampfen und der Kaffee kühlt allmählich ab“, erklärt Guo.
Gleichzeitig flüssig und fest
Bei extremen Temperaturen spielen die Naturgesetze verrückt: Neben den drei Aggregatszuständen fest, flüssig und gasförmig, entstehen neue exotische Materiezustände. Erst kürzlich hat ein Team um Guo an Pfaus Institut parallel zu Arbeitsgruppen aus Italien und Österreich erstmals einen Suprafestkörper nachgewiesen. Er verhält sich zugleich wie eine reibungsfreie, sogenannte Supraflüssigkeit und wie ein Festkörper. Die Stuttgarter Physiker nutzten für ihr Experiment eine besondere Eigenschaft von Dysprosium aus, dabei handelt es sich um eine seltene Erde aus der Gruppe der Lanthanoide.
Atome von Dysprosium besitzen ein sehr hohes magnetisches Moment, so dass sich die Atome wie Stabmagnete auch über längere Distanzen entweder anziehen oder abstoßen. Extremes Abkühlen der Atome führte zunächst dazu, dass die Atome zu einer Supraflüssigkeit kondensierten, ein sogenanntes Bose-Einstein-Kondensat. Ein ausgeklügeltes Magnetfeld richtete die magnetischen Wechselwirkungen zwischen den Dysprosium-Atomen dann so aus, dass die Supraflüssigkeit spontan in winzige Tröpfchen zerfiel. Diese ordneten sich in festen Abständen perlschnurartig an, wie in einem Kristall.
Suprafestkörper: Lange postuliert, jetzt Realität
Die Existenz eines solchen Suprafestkörpers wurde bereits vor 51 Jahren von den sowjetischen Physikern Alexander Andreev und Ilya Lifschitz theoretisch vorausgesagt. Seither hatten viele Forscher versucht, diesen quantenmechanischen Überlagerungszustand experimentell zu beweisen, vor allem in ultrakaltem Helium. Bisher war es aber nie gelungen, alle charakteristischen Eigenschaften eines Suprafestkörpers nachzuweisen. „Die jetzigen Ergebnisse von Guo und seinem Team sind ein Meilenstein auf der Suche nach neuen Materiezuständen“, sagt Tilman Pfau.
Aus seiner vorausgegangenen Arbeit in der renommierten Hongkonger Forschungsgruppe um Dajun Wang habe Guo bereits jede Menge Erfahrung mitgebracht, so Pfau. Während seiner Promotion dort hatte Guo zur Erzeugung von Suprafestkörpern je ein Natrium- und Rubidiumatom zu künstlichen Molekülen mit Dipolmoment kombiniert und diese anschließend analysiert. „Diese Moleküle können sich zu größeren Molekülen zusammenlagern, was die Experimentierzeit mit ihnen begrenzt und die Experimente schwieriger macht als mit Atomen“, sagt Guo.
„Schon während meiner Promotion in Hong Kong habe ich die Forschungsaktivitäten von Pfaus Arbeitsgruppe interessiert verfolgt“, erinnert sich Guo. Verblüfft hatten die Stuttgarter Forscher 2015 beobachtet, wie sich in einem Bose-Einstein-Kondensat aus Dysprosium-Atomen isolierte Tröpfchen bildeten. Es sollten weitere vier Jahre vergehen bis Guos Team dieses Phänomen kontrolliert erzeugen und die Suprafestigkeit nachweisen konnte.
Von der „Perlenschnur“ zu drei- und viereckigen Formen
„Es gibt noch so viele Dinge, die in diesem neuen Forschungsgebiet unbekannt sind“, so Guo. Beispielsweise will der Physiker während des Humboldt-Stipendiums herausfinden, ob er die suprafeste Materie auch in zweidimensionaler Form stabil erzeugen kann. Was, wenn sich die Tröpfchen zu drei- oder viereckigen Kristallgittern anordnen ließen, statt wie bisher in einer Linie? Würden sich die Eigenschaften dann ändern? Und statt wie bisher nur drei Tröpfchen, möchte Guo zukünftig mehr davon herstellen.
Parallel dazu wird Guo am Bau eines hochauflösenden Quantengasmikroskops für Dysprosium-Atome beteiligt sein. Darin werden die Atome bei Temperaturen um den absoluten Nullpunkt durch ein Gitter aus Ultraviolett-Lasern in genau definierten Abständen zueinander gehalten. Das ermöglicht es, einzelne Atome und ihre genaue Position zu detektieren. „Bisher sehen wir nur diese Tropfen und können ungefähr die Anzahl der Atome darin angeben. Aber wenn wir all diese quantenmechanische Phänomene besser verstehen wollen, müssen wir auf die einzelnen Bestandteile, nämlich die Atome, schauen“, sagt Pfau.
Nach fast eineinhalb Jahren in Stuttgart hat sich Guo inzwischen dem deutschen Arbeitstempo angepasst. „In China haben wir länger gearbeitet, aber hier in Deutschland ist die Effizienz viel höher“, sagt Guo. Auch das Klima hierzulande finde er, der in einer südchinesischen Stadt mit heißen Sommern und hoher Luftfeuchtigkeit aufgewachsen ist, wunderbar.