Laborsituation in der Abteilung Eukaryotengenetik des Instituts für Industrielle Genetik

Neue Therapieansätze bei Blutkrebs

12. Juli 2021, Nr. 56

Wie die Epigenetik zur Entstehung von Leukämien beiträgt
[Bild: Max Kovalenko]

Neue Therapieansätze für die Behandlung von Leukämien werden weltweit dringend gesucht. Ein Team um Prof. Jörn Lausen von der Abteilung Eukaryotengenetik des Instituts für Industrielle Genetik der Universität Stuttgart und dem DRK-Blutspendedienst Frankfurt hat nun in einem von der Wilhelm Sander-Stiftung geförderten Forschungsprojekt eine neue Verbindung zwischen Krebsgenen und der Wachstumssteuerung von Zellen entdeckt. Die Ergebnisse wurden jüngst in der renommierten Fachzeitschrift Oncogenesis publiziert.

Leukämien sind lebensbedrohende Krebserkrankungen des blutbildenden Systems. Trotz Fortschritten in der Behandlung gehören sie nach wie vor zu den tödlichsten Erkrankungen und sind insbesondere in einer alternden Gesellschaft ein drängendes Gesundheitsproblem: Einer von 77 Menschen erkrankt in den Industrienationen derzeit im Laufe des Lebens an einer Form von Blutkrebs. Trotz der großen Behandlungsfortschritte liegt die 5-Jahres-Überlebensrate – je nach Leukämieform – nur bei etwas über 50 Prozent. Daher wird weltweit an neuen Behandlungsansätzen geforscht.

Neue Erkenntnisse zu bestimmten Genen, die bei der Leukämieentstehung eine Rolle spielen, haben diese Forschung in den letzten Jahrzehnten beflügelt. Insbesondere Gene, die das Wachstum von Krebszellen befeuern, sind durch weltweite wissenschaftliche Anstrengungen identifiziert worden. Nun liegt ein besonderes Augenmerk der Forschenden auf der Regulation dieser Krebsgene. Zu verstehen, wie diese Gene an- oder ausgeschaltet werden können, ohne sie in ihrem Erbgut zu beeinflussen, wäre ein entscheidender Schritt in Richtung neuer Therapieoptionen.

Ein besonders interessanter Ansatzpunkt hierfür sind sogenannte „epigenetische Mechanismen“. Grundlage der Epigenetik sind Veränderungen an den Chromosomen, die sich auf die Aktivität von einzelnen oder mehreren Genen auswirken. Im Gegensatz zu Mutationen verändern epigenetische Mechanismen jedoch nicht die DNA-Sequenz (Basenabfolge der DNA), sondern die dreidimensionale Struktur der Chromosomen, also den chemischen Aufbau der DNA-Basen und/oder die „Verpackung“ der DNA. Epigenetische Mechanismen sind für die Regulation der Krebsgene deshalb so interessant, weil sie durch Enzyme vermittelt werden, die prinzipiell inhibiert, also unterdrückt werden können.

Die zentrale Zellwachstumskontrolle erfolgt über die Regulation der Genexpression (das Ablesen und die Umsetzung der genetischen Information) durch sogenannte Transkriptionsfaktoren und ihre epigenetischen Cofaktoren. Ein solcher epigenetische Regulator der Genexpression ist die Protein-Arginin-Methyltransferase 6 (PRMT6). Sie beeinflusst die zelluläre Differenzierung und Proliferation (Wachstum). Die Störung der Proliferationskontrolle ist eine wesentliche Veränderung der Zellen bei Leukämien.

A. In einem Tumormodel verringert die Inhibition der Protein-Arginin-Methyltransferase 6 (PRMT6) durch shRNA (small hairpin RNA) das Tumorwachstum im Vergleich zur Kontrolle. Gezeigt sind die Tumoren in der Hellfeld-Mikroskopie und in der Fluoreszenz-Aufnahme (grün). B. Die Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass PRMT6 die Proliferation von Zellen fördert, unter anderem durch eine Wirkung auf die Cyclin D1-Expression.

In einem von der Wilhelm Sander-Stiftung mit 134.000 Euro geförderten Projekt konnte das Team von Wissenschaftler*innen um Prof. Jörn Lausen von der Abteilung Eukaryotengenetik des Instituts für Industrielle Genetik der Universität Stuttgart jetzt nachweisen, dass der Transkriptionsfaktor LEF1 zur Rekrutierung des epigenetischen Genexpressionsregulators PRMT6 an den zentralen Zellzyklusregulator Cyclin D1 (CCND1) beiträgt. Die Forschenden fanden heraus, dass die Inhibition von PRMT6 zu einer veränderten epigenetischen Umgebung des CCND1-Gens führt und damit zu einer Reduktion der CCND1-Expression. Dies geht mit einer verringerten Proliferation der Zellen einher. Zusammengearbeitet habenJörn Lausen und Lucas Schneider dabei mit Prof. Halvard Bönig und Prof.  Erhard Seifried vom Institut für Transfusionsmedizin und Immunhämatologie der Johann-Wolfgang-Goethe Universität Frankfurt und des DRK-Blutspendedienstes Baden-Württemberg-Hessen sowie Prof. Thomas Oellerich und Dr. Björn Häupl von der Medizinischen Klinik 2 am Universitätsklinikum Frankfurt

„Wir erhoffen uns, dass die Entdeckung dieses Mechanismus und die darauf aufbauende Forschung zukünftig zur Entwicklung und Nutzung von spezifischen PRMT6-Inhibitoren für die Krebstherapie beitragen kann und es dadurch gelingt, die Sterblichkeit von Leukämiepatienten weiter zu senken“, erklärt Arbeitsgruppenleiter Jörn Lausen.

Über die Wilhelm Sander-Stiftung 

Die Wilhelm Sander-Stiftung versteht sich als Partner innovativer Krebsforschung. Stiftungszweck ist die Förderung der medizinischen Forschung, insbesondere von Projekten im Rahmen der Krebsbekämpfung. Seit Gründung der Stiftung wurden insgesamt über 250 Millionen Euro für die Forschungsförderung in Deutschland und der Schweiz ausbezahlt. Damit ist die Wilhelm Sander-Stiftung eine der bedeutendsten privaten Forschungsstiftungen im deutschen Raum. Sie ging aus dem Nachlass des gleichnamigen Unternehmers hervor, der 1973 verstorben ist.

Fachlicher Kontakt:

Prof. Dr. rer. nat. Jörn Lausen, Universität Stuttgart, Institut für Industrielle Genetik, Abteilung Eukaryotengenetik
Tel.: +49 (0) 711-685-66971; E-Mail

Originalpublikation:

Schneider L, Herkt S, Wang L, Feld C, Wesely J, Kuvardina O N, Meyer A, Oellerich T, Häupl B, Seifried E, Bonig H, Lausen J. PRMT6 activates cyclin D1 expression in conjunction with the transcription factor LEF1. Oncogenesis. 2021 May 17;10(5):42.

DOI: 10.1038/s41389-021-00332-z

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