Wie machen wir unsere Energieinfrastrukturen krisensicher?

8. Mai 2023

Am 27. April 2023 fand im Hospitalhof eine Podiumsdiskussion zur intelligenten Transformation der Energieinfrastruktur statt. Dabei ging es um die Anforderungen an eine intelligente Umsetzung der Energiewende: krisensicher, klimaneutral und klimagerecht.
[Bild: iStock]

„Intelligente Transformation von Energieinfrastrukturen. Wie machen wir unsere Energieinfra­struk­turen krisensicher?“ Zu diesem Thema hatten das Zentrum für Interdisziplinäre Risiko- und Innovationsforschung (ZIRIUS), Interchange Forum for Reflecting on Intelligent Systems (IRIS), das Internationale Zentrum für Kultur- und Technikforschung (IZKT) und der Hospitalhof am 27. April 2023 zu Podiumsgespräch und Diskussion geladen. Gut 30 Interessierte aus Wissenschaft und Stadt­öffent­lich­keit waren gekommen, um die einschlägigen Expert*innen aus Wissen­schaft, Politikberatung, Praxis und Zivilgesellschaft zu hören: Prof. Cordula Kropp von ZIRIUS, Prof. Sabine Löbbe von der Hoch­schule Reutlingen und Mitglied im Klima-Sachverständigenrat des Landes Baden-Württem­berg, Jean-Claude Schmiedle als Leiter des Geschäftsbereichs Recht und Unter­nehmens­entwicklung der Stadt­werke Stuttgart und Sina Reisch, von 2019 bis 2022 Pressesprecherin der Bewegung „Ende Gelände“.

Als dringende, von der Gesellschaft zu beantwortende Kernfragen kristallisierten sich heraus:

Wie machen wir unsere Energieinfrastrukturen krisensicher, klimaneutral und klimagerecht? Was wäre eine wirklich intel­ligente Umsetzung der Energiewende? Wie können wir die damit ver­bundenen Konflikte intelligent austragen?

Denn dass die Energiewende umgesetzt werden muss, dass das Zeitfenster extrem schmal ist, und dass es Konflikte um die Umsetzung gibt und geben wird, darin waren sich die ExpertInnen einig. Derzeit, so Prof. Löbbe, steuern wir auf eine 2,3 Grad Erwärmung zu.

Dabei konzentrierte sich die Diskussion vor allem auf Fragen und Probleme der Wärmewende. Diese, auch hier herrschte Übereinstimmung, wurde in den letzten Jahrzehnten auf katastro­phale Weise vernachlässigt. Die Situation, dass viele Menschen sich im Winter 2022/23 zwischen Heizen und Essen entscheiden mussten, wäre vermeidbar gewesen, wenn die Umstellung auf regenerative Energie eher und konsequenter in die Wege geleitet worden wäre. Die Technologien für eine Umstellung auf klima­neutrale Energien, auch hier kein Dissens auf dem Podium, stehen heute zur Verfügung. Es muss nicht immer und für jeden Zweck „grüner“ Wasserstoff sein, aber z.B. Wärmepumpen, so Jean-Claude Schmiedle, sind einsetzbar, marktfähig, und ohne dramatische Umbaumaßnahmen nutzbar zu machen.

Warum, so die große Frage, sind wir dann in Deutschland nicht schon weiter? Warum ist die not­wen­dige Transformation nicht schon lange passiert? Warum hängen wir Jahre oder Jahrzehnte hinter den eigenen Vorgaben hinterher?

Die Frage wäre also nicht mehr, welche intelligenten Technologien wir brauchen, um Energie klima­neutral zu produzieren und zu nutzen, sondern welche Ansätze es gibt, um die Verzögerungen zu ver­stehen und daraus Ansatzpunkte für wirksame institutionelle, wirtschaftliche und politische Verände­rungen abzuleiten. Die Fragestellung müsste um­gekehrt werden: Warum hat es in Deutschland keine intelligente Transformation der Ener­gie­infra­strukturen gegeben? Was – oder wer - hat eine intelli­gente Transformation der Energieinfra­struk­tu­ren bisher weitgehend verhindert?

Wenngleich dies an diesem Abend nicht systematisch von allen Seiten beleuchtet werden konnte, gab es doch eine Reihe von Anregungen und Überlegungen, die im Folgenden kurz zusammengefasst werden sollen:

Infrastrukturen statt nur Individuen in den Blick nehmen

Die Organisation der gesellschaftlichen Daseinsvorsorge, zu der die Energieinfrastrukturen wesentlich hinzugehören, wäre, so Cordula Kropp, ein so viel wirksamerer Hebel als alle Appelle an das individuelle Konsumverhalten. Würden die Versorgungsstrukturen voll­ständig auf erneuerbare Energien umgestellt und dekarbonisiert, so wären 87% der deutschen CO2-Emissionsquellen unter Kontrolle. Wir brauchen einen neuen Fokus im Diskurs auf die nachhaltige und klimagerechte Transformation unserer Infrastruktursysteme; dies ist eine gesellschaftliche und politische Aufgabe.

Verursacher*innen in die Pflicht nehmen

Zum anderen muss sich der Fokus stärker auf die Verur­sacher­Innen der Treibhausgasemissionen richten. Die Kosten und Lasten einer nachhaltigen und klima­gerechten Transformation müssten vor allem von denen getragen werden, die für den Großteil der Emissionen verantwortlich sind und zwar nicht nur auf lokaler und nationaler, sondern auch auf glo­baler Ebene. Cordula Kropp schlug vor, das Verursacherprinzip zur Verschwendungsbremse zu machen und eine emissionsabhängige Umlage auf jeden verbrauchten Liter fossiler Brennstoffe und jeden Quadratmeter Wohnfläche oberhalb einer gewissen Grenze zu erheben, um die Transformation damit zu finanzieren.

Prof. Cordula Kropp von ZIRIUS spricht aus soziologischer Perspektive über eine intelligente Transformation der Energieinfrastruktur

Organisationsstrukturen verändern

Sabine Löbbe wies darauf hin, dass Organisationen im System der Energieerzeugung, -bereitstellung und -nutzung verschiedene Interessen und Aufgaben haben. Insgesamt sei die Aufgabe des Energiesystems, für Versorgungssicherheit, Wirtschaftlichkeit und in­zwischen auch Klimaneutralität der Energie zu sorgen. Aber: Strukturell gesehen ist für keine der beteiligten Organisation das Erreichen von Klimaneutralität der primäre Organisationszweck. Klima­neutralität rangiert strukturell immer an nachgeordneter Stelle. Hier wäre zu überlegen, wie die beteiligten Organisationen stärker auf Erreichen dieses Ziels verpflichtet werden können.

Prof. Sabine Löbbe von der Hochschule Reutlingen spricht aus dem Blickwinkel von Organsiationen

Politische Führung einfordern

Dabei, so ergänzte Jean-Claude Schmiedle, muss festgehalten werden, dass „Klimaneutralität“ ein nicht geschützter Begriff ist. Was als klimaneutral gilt, wann Klimaneutra­lität auf welcher Ebene erreicht ist oder nicht, ist politisch nicht klar definiert. Hier, wie auch in vielen anderen Fällen, haben die politischen Entscheidungsträger die Festlegung von Vorgaben gescheut. Das klimapolitische Engagement von Kommunen, Behörden, Unternehmen und auch Individuen, so die ExpertInnen, braucht gesetzliche Rahmenbedingungen und positive Anreizsysteme bzw. die Ab­schaf­fung von Fehlanreizen. Hier ist der Gesetzgeber gefordert. Hat die Politik Angst, so Cordula Kropp, der (Wahl-?)Bevölkerung Veränderungen zuzumuten? Andererseits kann man feststellen, dass die Akzeptanz in der Bevölkerung von regenerativen Energien oder bspw. einem generellen Tempo­limit laut Umfragen durchaus gegeben ist und trotzdem die entsprechenden Schritte nicht ergriffen werden. Diese zögerliche Haltung der politisch Verantwortlichen ist erklärungsbedürftig.

Jean-Claude Schmiedle von den Stadtwerken Stuttgart stellt im Impuls die Möglichkeiten im Bereich Wärme vor

Lokales Handeln und Kommunalisierung zivilgesellschaftlich unterstützen

Positiv gesehen wurden Ansätze der Rekommunalisierung von Infrastrukturen wie in Stuttgart im Fall der Stadtwerke. Be­mer­kenswert ist dabei, dass dies aufgrund von Druck und Engagement der Zivilge­sellschaft ge­schehen ist, wie ein Beitrag aus dem Publikum klarmachte. Dennoch, so war klar, wird es Interessen- und Zielkon­flikte, z.B. in Bezug auf Flächennutzung geben („Dachgarten oder Wärmepumpe?“), aber es gibt auch die Möglichkeit, dass diejenigen, die über nach­­­haltige Transformationen mitentscheiden und diese umsetzen müssen, auch einen Nutzen davon haben.

Insgesamt gibt es jedoch zur Frage, warum eine intelligente, nachhaltige und klimagerechte Transfor­ma­tion unserer Energieinfrastrukturen bisher nicht stattgefunden hat, noch viel Forschungs- und Dis­kus­sions­bedarf. Das Gespräch muss fortgesetzt werden.

Sina Reisch war von 2019 bis 2022 Pressesprecherin der Bewegung "Ende Gelände" und stellt eine klimagerechte Zukunft in den Mittelpunkt

Der Artikel erschien im Rahmen des ZIRIUS-Blogs.

Zum Blogbeitrag Nr. 1: Der Klimawandel

Zum Seitenanfang